Kholat

Kholat

Nach tollen Trailern & Gameplay-Videos und dem Siegel „basierend auf einer wahren Begebenheit“, war klar, Kholat könnte ein vielversprechendes Horror-Adventure werden. Könnte. Warum es am Ende für das Spiel des Indie Entwicklerstudios IMGN.PRO doch leider nur eine mittelmäßige Bewertung gibt, erfahrt ihr hier in unserem ausführlichen Test.

Mystery meets Reality

Russland, Ural Gebirge. Eine Gruppe von neun Wissenschaftsstudenten begibt sich 1959 zum Dyatlov Pass und kehrt nie wieder zurück. Ein Such- und Rettungsteam wird ausgeschickt und kehrt mit mysteriösen Details zurück: die entdeckten Zelte wurden von innen nach außen aufgeschnitten, im Zeltinneren fand man die komplette Ausrüstung der Studenten, inklusive ihrer Schuhe. Unweit des Zeltplatzes fand man die ersten Leichen, die, nur mit Unterwäsche bekleidet, versucht hatten sich auf einen großen Baum zu retten. Aber vor was? Was kann einen so erschrecken, dass man fast nackt in die eisige Kälte läuft? Was hat die Studenten einen Baum hinaufgejagt?

Fragen über Fragen. Nach mehreren Monaten wurde dann auch das restliche Forscherteam tot aufgefunden. Aber anstelle von einigen Antworten, kommen mehr Fragen auf und der Unfall am Dyatlov Pass wird immer mysteriöser. Die Körper der Studenten weißen schwere innere Verletzungen auf, äußerlich sind aber keine Spuren von Gewalteinwirkung zu erkennen. Was also ist in jener schrecklichen Nacht passiert?

Slender Man mit Kompass

Genau dieser Frage widmen wir uns im Spiel. Als namenloser Held landen wir am Bahnhof einer völlig ausgestorbenen, verschneiten Geisterstadt, irgendwo in der Nähe vom Unglücksort. Mit einer Taschenlampe, einem Kompass und einer Karte bewaffnet, machen wir uns auf den Weg ins Gebirge. Nach einer kurzen Zwischensequenz wird klar, wir müssen uns zu den Koordinaten, die auf der Karte eingezeichnet sind, begeben und den Unfallhergang irgendwie aufklären. Einfacher gesagt, als getan. Denn auf der Karte werden zwar Routen, Längen- und Breitengrade angezeigt, was aber nicht sichtbar ist, ist der aktuelle Standort. Also tappt man vorerst eher schlecht als recht im Schnee herum und versucht sich irgendwie zu orientieren. Und ganz ehrlich, der Kompass war anfangs auch keine große Hilfe. Nach kurzem googlen nach einem Russisch-Englisch Wörterbuch war dann auch endlich klar, was hier auf dem Ding überhaupt Norden und Süden sein soll. Für diejenigen, die es auch nicht wissen:

н= Norden, с = Süden

Ist das Verständigungsproblem geklärt, machen wir uns auf zur ersten Koordinate. Und siehe da! Genau dort finden wir ein Zettelchen. Mit großer Vorfreude wird das Journal geöffnet, aber das erhoffte mega-spannende Zettelchen ist leider mega-langweilig. Statt mysteriösen, gruseligen Tagebuchseiten, sind es eher langweilige Geschichtsfetzen. Da waren Slender Mans „Don’t look!“ oder „No!“ Zettel sogar noch spannender als das öde Geschreibsel. Naja, vielleicht sind die anderen Fundstücke ja interessanter, also auf zur nächsten Koordinate! Obwohl der Kompass jetzt mit unseren Russisch-Kenntnissen funktioniert, ist jede Wanderung durch den Schnee trotzdem immer noch eine Tortur. Selten habe ich mich bei einem Spiel so konzentrieren müssen. Von der sogenannten Multi-Tasking-Qualität, die man meinem Geschlecht ja lustigerweise zuspricht, war leider nichts mehr vorhanden. Einmal kurz einen Blick ins Handy geworfen oder einen Journaleintrag noch einmal gelesen, und ich wusste schon nicht mehr, wo genau ich gerade auf der Karte war. Dann wird wieder im Dunkeln rumgetappt bis man an eine Stelle kommt, an der man vorher schon war oder sich irgendwie anders zu helfen weiß. Das ist auf Dauer echt nervig! Denn unser „Held“ kann zwar laufen, aber auch nur ein paar Sekunden bevor das Bild unscharf wird und zu wakeln beginnt.

Übrigens: selbstständiges Speichern fällt auch aus. Auf der Karte sind einige Zeltplätze verstreut, bei denen das Spiel gespeichert wird. Sonst wird nur noch automatisch gespeichert, wenn man ein Zettelchen aufhebt. Läuft man also 20 Minuten im Tiefschnee herum und fällt dann blöderweise bei einem Abhang herunter oder verirrt sich – denkste! – kein Savepoint! Kannst du alles noch einmal machen.

Fog – Der orange Nebel der Langeweile

Aber nicht nur Abhänge können uns in Kholat unser Leben kosten, sondern auch Geistwesen, die uns während dem gesamten Plot stalken. Manchmal werden sie durch einen orangenen Nebel und eine Meta-Sean-Bean-Stimme, die zu uns spricht, angekündigt. Ab und zu ist es aber auch einfach sehr unfair und du drehst dich mitten im Wald um und plötzlich steht das Ding hinter dir. Game over. Alles auf Anfang und nochmal versuchen. In einigen Szenen können die Wesen aber gekonnt umgangen werden. Taschenlampe aus und einen weiten Bogen darum machen. Sonst hilft auch immer schnell davonlaufen.

Die Geistwesen können am Anfang ziemlich erschrecken, vor allem wenn sie so plötzlich aus dem Nichts auftauchen. Leider nutzt sich dieses Gefühl relativ schnell ab und die Angst wird eher von der verbissenen Suche nach Zetteln abgelöst. Die Wesen sind eher nervende Hindernisse, keine furchteinflößenden Überwesen. Leider. Wem ein paar Jump-Scares ausreichen, der wird mit Kholat zufrieden sein. Wer aber Härteres gewohnt ist, wird hier schnell abstumpfen und gelangweilt sein. Die verschneite, dunkle Atmosphäre trägt zwar zum Gruselfaktor bei, jedoch kann selbst der bestgezeichnetste Bunker oder eine Hütte mitten im Wald nicht mehr viel retten. Die Grafik, die übrigens auf der Unreal 4 Engine basiert, ist zwar wirklich sehr sehr schön anzusehen, aber auf Dauer hilft das leider auch nichts. Natürlich haben sich die Entwickler viel Mühe gegeben, das wird bei der Grafik, den Ton- und Soundeffekten wirklich bemerkbar, aber selbst Sean Beans Stimme kann den Karren nicht mehr aus dem Dreck ziehen. Der Plot ist also alles, was Kholat noch so einigermaßen über Wasser hält. SPOILER: Und selbst der geht am Ende unter.

Fazit

Als großer Fan von Horror-Adventuren und einem noch größerem Fan von parapsychologischen Horror-Adventuren, wollte ich dieses Spiel wirklich lieben. Aber Kholat hat mich nicht gelassen. Kleinigkeiten wie die quasi nichtvorhandene Savegame-Funktion oder einem russischen Kompass kann man verzeihen. Sowas macht das Spiel einfach etwas schwerer und anspruchsvoller. Aber unverzeihlich ist echt, was aus der gesamten Geschichte rund um das Djatlov Pass Unglück gemacht wurde. Anstelle echte Horror- oder Mindfuck-Momente einzubauen, hat man als „Nummer sicher“ das übermenschliche Geistwesen gewählt. Selbst der wirklich schlechte Horrorfilm Devil’s Pass war hier kreativer und hat zumindest Alien-Mutanten ins Setting eingebaut. Ein düsteres Gebirge, in dem ein paar Zettelchen verstreut sind, reicht einfach nicht. Entweder volle Ladung paranormales Horror-Mystery-Adventure oder gleich realistisch bleiben. In diesem Fall wäre sicher die Realität spannender gewesen, als dieser erschaffene Humbug.

Das Entwicklerstudio hätte so viel mehr aus dem Projekt rausholen können, dass es mich wirklich schmerzt Kholat schlechter als sehr gut bewerten zu müssen. Die Idee, mit dem Kompass alleine im Gebirge herumzulaufen, ohne Standortkennzeichnung, ist wirklich herausfordernd und interessant. Natürlich kann das sehr frustrierend sein, vor allem am Anfang. Aber eine gute Story hätte das locker wieder wettgemacht und mehr Anreiz für Erkundungstouren gegeben. So wurde einfach stupide jede Koordinate auf der Karte überprüft bist das Spiel plötzlich aus war. Am Ende ist man genau so gescheit wie am Anfang. Um eine Erfahrung reicher, aber ein paar Stunden vergeudete Zeit ärmer.

Wer sich trotzdem ins eisige Ural Gebirge begeben will: Kholat ist für 17,99€ bei Steam erhältlich.

70 Wertung

Gameplay: 6/10

Grafik: 8/10

Sound: 8/10

Story: 6/10

Tolle Atmosphäre | Grafik und Sound | Sean Bean

Seichte Story | Kaum Spannung und Action | Frustrierende Checkpoints

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